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Rezension: Die AT&S Story (I)

Bereits 2016 erschien im Lindeverlag "Die AT&S Story" von Gerald Reischl, eine ausführliche Rezension fand ich aber nirgends. Daher holen wir das heute im Covacoro-Blog nach!

 

Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte kann sehr spannend sein, gilt es doch die Umbrüche bei Produkten und Technologie zu meistern. Wer die Bestseller über Amazon oder Apple gelesen hat, weiß ebenfalls wie entscheidend die Rolle des Top-Managements ist.

 

Bekannt wurden bisher vor allem die Erfolgs-geschichten amerikanischer Konzerne und ihrer CEOs. In den USA gibt es anscheinend einen viel größeren Kreis von Autoren, die sich damit beschäftigen, und Leserinteresse an ihren Büchern.

 

In Europa sind wir zwar stolz auf unseren Mittelstand und auf die vielen innovativen, "Hidden Champions" genannten Unternehmen. Sie behaupten sich auf dem Weltmarkt, auch wenn sie nie die Größe und Bekanntheit eines Konzerns wie Apple erreichen werden. Aber Bücher oder ausführliche Publikationen über sie gibt es kaum: Wertvolle Ideen und Praktiken gehen so verloren. 

 

Das Buch "Die AT&S Story" ist hier eine positive Ausnahme, da es der Historie eines zunächst kleinen österreichischen Unternehmens nachspürt und sich auch der Frage widmet, wer hier die prägenden Persönlichkeiten sind. Warum wurde das Unternehmen erfolgreich? Was kann man davon verallgemeinern?

  

Die Abkürzung AT&S steht im übrigen für Austria Technologie & Systemtechnik. Ein zunächst etwas sperriger Name, der den Unternehmenszweck nicht sofort preisgibt.

 

Die Technologie um die es geht, ist die Leiterplattenherstellung oder, wie es auch in Lehre und Wissenschaft bezeichnet wird, die Aufbau- und Verbindungstechnik für elektronische Bauelemente. Was sperrig klingt, beschäftigt sich mit sehr kleinen und feinen Strukturen im Nanometerbereich und ist Hightech pur. Leiterplatten in ihrer heutigen Perfektion ermöglichen immer leistungsfähigere und kleinere PCs, Smartphones oder Hörgeräte, stecken aber auch in Industrierobotern, Medizintechnik und vielen weiteren Produkten. 

 

AT&S gehört heute unzweifelhaft zu den weltweit führenden Leiterplatten-Herstellern. Das war nicht immer so, weshalb die Frage lautet: Wie ist das gelungen und was waren die Faktoren, die dazu beitrugen? 

 

Last but not least, stellt der Autor im Untertitel eine Behauptung auf: "Wie ein Unternehmen aus der Steiermark das digitale Zeitalter und die Zukunft mitgestaltet". Kann das Buch diesen Gedanken untermauern und vermitteln, wie man für die kommenden Herausforderungen aufgestellt ist? Wo geht die Entwicklung hin? Fragen über Fragen, genügend Stoff für ein ganzes Buch!

 

Also werfen wir doch einen Blick hinein und auf die Antworten, die es bereithält.

 


DER INHALT IM ÜBERBLICK

 

Das Buch kommt auf insgesamt 200 Seiten und ist in 8 Teile untergliedert. Es werden zahlreiche Fotos und Grafiken von AT&S wiederverwendet, so dass man sowohl einen Blick auf die Produkte als auch in die Fabriken werfen kann. Die einzelnen Teile sind jeweils in etwa zwei- bis vierseitige Unterkapitel gegliedert und damit klar strukturiert. Diese Texte würden sich unmittelbar als Vorlage für eine Veröffentlichung als Artikelserie im Unternehmensblog anbieten. ;-)    

 

Teile des Buches basieren laut Autor auf einer Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte durch Universitätsprofessor Stefan Karner und Magister Christoph H. Benedikter. Unklar bleibt leider, ob die Initiative für das Buch vom Autor oder vom Unternehmen ausgegangen ist. Da es aber zahlreiche Zitate von ehemaligen und derzeitigen Managern des Unternehmens gibt, darf man davon ausgehen, dass das Buchprojekt abgesegnet und gutgeheißen wurde.

 

Im Prolog nennt Gerald Reischl auch das Ziel, dass dieses Buch jungen Unternehmen, den Start-Ups, Motivation sein soll, an neue, ungewöhnliche Ideen zu glauben und mutig ihren eigenen Weg zu gehen, so wie es AT&S vorgemacht hat.

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Prolog / Einleitung

TEIL 1: Das Umfeld – Wirtschaft, Politik und Technologie

TEIL 2: Die Vorläuferbetriebe

TEIL 3: Die DNA des Erfolges – Umstrukturierung – AT&S entsteht

TEIL 4: Die Expansion

TEIL 5: Die mobile Revolution

TEIL 6: Chancen und Krisen der 2000er-Jahre

TEIL 7: Die zweite Pionierzeit

TEIL 8: Die Zukunft

 

Bevor ich die Kerngedanken des Buches und einige Faktoren für Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens zusammenfasse noch der Hinweis, dass AT&S als AG seit 1999 börsennotiert ist. Die Aktie befindet sich derzeit auch in meinem Wikifolio-Depot, weshalb ich das Buch natürlich auch aus dem Blickwinkel eines langfristig orientierten Value-Investors gelesen habe, der sich neben den fundamentalen Kennzahlen auch stets für die Unternehmensqualität interessiert. Außerdem fließen in die Bewertung der historischen Ereignisse und der getroffenen Entscheidungen eigene, subjektive Erfahrungen aus meinem Berufsleben in der Halbleiterindustrie ein, die ähnlich wie die Leiterplattenherstellung einem konstanten technologischen Wandel und ausgeprägten Investitionszyklen unterliegt.

 


Die DNA Des ERFOLGES

 

AT&S entsteht aus drei Vorgängerbetrieben: Körting Elektronik in Fehring, Eumig in Fohnsdorf und einer Betriebsstätte der Voest Alpine in Leoben-Hinterberg, so weiß es auch der Wikipedia-Artikel. Was dort nicht steht, sind die Umstände: ein Schuldenberg von 600 Millionen Schilling, eine verunsicherte Belegschaft, eine Holding, die quasi pleite ist und zur Privatisierung ansteht.

 

Anfang der 90er Jahre befindet sich aber auch der Markt im Aufbruch: digitale Mobilfunk-Netze entstehen, die Halbleiterindustrie und PC-Industrie boomen und die Nachfrage nach Leiterplatten wächst dynamisch. Mit der Privatisierung in 1994 und Übernahme der AT&S durch das Triumvirat Androsch, Dörflinger und Zoidl beginnt eine neue Zeitrechnung.

 

In den ersten beiden Teilen des Buches wird diese Situation und die zahlreichen Probleme der verschiedenen Werke beschrieben und analysiert. Im Rückblick erscheint alles klar und logisch: vor allem fehlten Qualitäts- und Kostenbewußtsein sowie eine langfristige Strategie, wo man sich technologisch positionieren will.

 

Die Umstrukturierungen, die Dörflinger und Zoidl bereits erfolgreich bei der Eumig eingeleitet hatten, werden in der Folge auch in Leoben-Hinterberg für einen Turnaround sorgen. Dabei wird Dörflinger als ausgewiesener Leiterplatten-Experte beschrieben, der sich vom Techniker bis in den Vorstand hocharbeitete und als strenger, autoritärer, aber herzlicher Manager mit hoher Sozialkompetenz galt.

 

Androsch hingegen war der Motivator mit der Gabe, ökonomische Kennzahlen und Entwicklungen richtig einzuschätzen und vorherzusehen. Das Duo war nicht immer einer Meinung, aber sie "vertrauen einander bis heute blind".

 

Als erster, wesentlicher Bestandteil der DNA zum Erfolg gilt die Qualitätsoffensive, die das neue Unternehmen nach vorne bringen soll, das bedingungslose Engagement für Qualität im Sinne des Kunden. 

 

Die Integration der drei Firmen zu einer Gesellschaft verlief nicht problemlos, wie der Geschäftsführer Zoidl 1995 einräumte und im dritten Teil des Buches beschrieben wird. Praktische Probleme wie unterschiedliche Maßsysteme (Hinterberg benutzte lange Zeit das amerikanische System und rechnete in Inches, da der Hauptkunde IBM war.) und ein nicht vorhandenes einheitliches IT-System mussten angegangen und gelöst werden.

 

Anfangs gab es auch Konkurrenzdenken zwischen den Werken und den Versuch, auf dem Status-Quo zu beharren, sobald die Profitabilität erreicht war. Im Buch wird anschaulich beschrieben, wie die Manager diese Probleme vor Ort angehen, indem sie präsent sind, Entscheidungen treffen und eine kontinuierliche Verbesserung vorleben und implementieren.

 

Als zweiter, wesentlicher Bestandteil der DNA zum Erfolg schildert Reischl, dass Investitionen in neue Technologien zur richtigen Zeit gestartet wurden. Dabei ging man stets antizyklisch und mutig vor. Als Maßnahme auf den Verlust der IBM-Aufträge im Jahr 1992 investierte man zum Beispiel in Forschung und Vertrieb. Im Fokus stand die HDI (High Density Interconnect) Multilayer Technologie und die Grundlagen für besonders dünne Leiterplatten. Dörflinger gibt heute zu, dass das letztendlich "eine Bauchentscheidung" war. Aber sie basierte auf dem Wissen um die Branchentrends und dort zeigte sich eine immer stärkere Verkleinerung (Miniaturisierung) und Erhöhung der Packungsdichte bei Leiterplatten. 

 

AT&S investierte außerdem frühzeitig in teure Laseranlagen und gab der technisch teureren aber qualitativ hochwertigen Lösung den Vorzug um sogenannte Microvias zu realisieren. Im Sinne der Kunden und der Produktivität verwarf man kostengünstigere Varianten und konzentrierte sich darauf, das Potenzial zur Verkleinerung der Leiterplatten um den Faktor fünf bis zehn auszureizen.

 

Gemeinsam mit den Basisarbeiten zur Galvanisierung der Microvias und dem eigenen Knowhow konnte man so die Technologie zur Fertigungsreife bringen. Die wichtigsten Kunden in dieser Zeit waren Motorola und Nokia, beide Unternehmen setzten auf dem Gebiet des Mobilfunks die Standards und wuchsen stark. Die Zusammenarbeit mit ihnen kam AT&S doppelt zugute: durch steigende Volumina und Umsätze, aber auch durch eine enge Kooperation und Aufbau von Knowhow.

 


EXPANSION UND MOBILE REVOLUTION

 

In der Folgezeit expandiert AT&S unter anderen erfolgreich nach Indien und geht 1999 an die Börse. Die Bilanz war saniert, eine hinreichende Eigenkapitalquote und Profitabilität erreicht. Aber es gibt auch Rückschläge: das Augsburger Werk von Siemens wird erst erworben und zum Breakeven geführt, letztendlich aber geschlossen, weil Leiterplatten für den UMTS Standard mittlerweile von der Konkurrenz billiger produziert werden. 

 

Ähnlich wie bei IBM und Großrechnern 1992 zeichnet sich ab, dass bei Nokia Hochmut vor dem Fall kommt. Lange Zeit das Nonplusultra bei Mobiltelefonen verliert das Unternehmen den Anschluss, weil es zulange auf die falsche, eigene Software setzt und Innovationen verpaßt. So wird Nokia von der Einführung des Touchscreens durch Apple in 2007 beim iPhone überrascht und verliert Marktanteile. 

 

AT&S kompensiert die Auftragsrückgänge zunächst mit dem Neukunden RiM (Research in Motion), der für den US-Markt sogenannte Pager und danach den erfolgreichen Blackberry herstellt. Die Partnerschaft beginnt 2001 und war für AT&S der erste Schritt in Richtung Smartphone. Nach RiM entdeckt später auch Apple den österreichischen Zulieferer und dieses Unternehmen wird für die Branche zum Technologietreiber schlechthin.

 

Immer kleiner, immer dichter gepackt, immer leistungsfähiger - AT&S hatte frühzeitig diesen Trend zur Miniaturisierung erkannt. Das zahlt sich aus, vor allem weil man die Strategie um einen weiteren Gesichtspunkt ergänzt: Aus dem Massengeschäft und dem dort herrschenden Preiskampf hält man sich bewusst heraus, versucht stattdessen den Hochqualitätssektor zu bedienen und Kunden, die hohe Funktionalität auf kleinem Raum benötigen.

 

Die HDI-Microvia-Technologie wird folgerichtig zur sogenannten Anylayer-Technik weiterentwickelt, wo 100 Prozent aller elektrischen Verbindungen zwischen den einzelnen Lagen über lasergebohrte Microvias realisiert werden. Zusammen mit der Möglichkeit Widerstände, Kondensatoren und Chips in die Leiterplatten einzubetten, erhielt der Kunde nahezu unbeschränkte Flexibilität, was in ein solches System integrierbar ist. 

 

Ein gutes Beispiel, was so möglich wird, ist die Apple Watch mit Ihrer "System in Package" Lösung mit extremer Packungsdichte. Einen Teardown kann man sich beispielsweise hier ansehen.

 


CHINA TEIL 1

 

Nach der Dot.com Bubble bricht die Börse im März 2000 ein und zahlreiche Hightech-Branchen leiden unter Umsatzrückgängen. Das Investitionsklima in dieser Zeit: Unsicherheit. Die Leiterplattenindustrie als Zuliefererbranche leidet besonders.

 

Um so mutiger die Entscheidung zu einer Fertigungsstätte in China gerade jetzt. Der Produktionsstart des Werkes in Shanghai wird 2002 gefeiert, bereits 2004 wird das Werk erneut um 2 Linien vergrößert. Mitte 2008 ging Shanghai III vollständig in Betrieb und mit damals rund 3200 Beschäftigten war es das größte HDI-Leiterplattenwerk weltweit.

 

Ansicht des Leiterplatten-Werkes in Shanghai, AT&S
Ansicht des Werkes in Shanghai, Quelle: AT&S

 

Wichtige Kunden wie Nokia, Motorola und Siemens aus der Branche Consumer Electronics wurden von hier kostengünstig beliefert und die Umsätze erreichten neue Höchststände. Wieder einmal hat sich eine antizyklische Vorgehensweise ausgezahlt, denn man ist rechtzeitig gerüstet und nun als globaler Tier1-Zulieferer anerkannt.

 

Die österreichischen Werke spezialisieren sich dagegen auf besonders anspruchsvolle Materialien und Ausführungen, auf Kleinserien, Expresslieferungen und Nischen sowie auf Kunden zum Beispiel aus der Automobil- und Medizintechnik. Auch personell sind die Weichen neu zu stellen und Umbrüche zu managen: Dörflinger und Androsch wechseln in den Aufsichtsrat und geben den Staffelstab an ein neues Vorstandsteam weiter. 

 

Von 2005 bis 2008 können Jahr für Jahr neue Umsatz- und Gewinnrekorde erzielt werden. Auf dem Gebiet Handys und Digitalkameras erreicht man einen globalen Marktanteil von 14 Prozent. Auf europäischer Ebene sind es 14 bzw. 13 Prozent bei Leiterplatten für die Autoindustrie bzw. Industriekunden. Der AT&S Konzern scheint bestens aufgestellt, die Geschäftsaussichten sind hervorragend!

 

Doch dann kommt die Finanzkrise 2008/09 und mit ihr eine deutliche Abkühlung der Weltwirtschaft. Auch AT&S muss sich hinterfragen und neu aufstellen. Wie es mit dem Unternehmen weiterging, welche Entscheidungen getroffen wurden und wie der Ausblick auf die Zukunft ist, schreibe ich im 2.Teil der Rezension, denn der Artikel ist bereits sehr lang geworden.

 

Neben dem Fazit zum Buch gibt es im zweiten Teil außerdem eine Betrachtung zur Aktie, sowohl zu den fundamentalen Kennzahlen als auch zum Ausblick.

 

(c) 2017, Covacoro

 


Früher erschienene Buch-Rezensionen auf Covacoro.de finden Sie auf meiner Webseite hier.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Prof (Samstag, 26 August 2017 11:00)

    Sicher ein interessantes Buch.
    Mich wundert immer, wie viele Bücher veröffentlicht werden. Die verkaufte Stückzahl dürfte wohl trotz hoher Qualität, guter Recherche etc. gerade mal vierstellig werden. Das heißt, der Autor verfolgt keine materiellen Interessen sondern betreibt das Schreiben als Hobby.
    Hier wurde mit viel Engagement, Zeitaufwand und Herzblut gearbeitet. Der Autor ist sicher auch ein großer AT&S Fan. Unter diesem Aspekt könnte das Buch auch etwas mit der rosaroten Brille geschrieben worden sein, wenn auch unbeabsichtigt.
    Prof

  • #2

    Covacoro (Samstag, 26 August 2017 18:05)

    Ja, diese Frage stellt sich. Teile des Buches beruhen auf einer universitären Studie, wie der Autor angibt, und sind Dokumentation. Andere Teile und vor allem die auf die Zukunft ausgerichteten Passagen könnten einseitig oder zu positiv dargestellt werden. Sicher schwingt auch ein wenig Stolz mit, dass solch ein Unternehmen in Österreich ansässig ist und da verzeiht man "kleine" Probleme. Ich habe an anderer Stelle auch schon mit Nebenwert-Investoren diskutiert, die AT&S und die gegenwärtige Führungsmannschaft vor allem wegen der Kapitalverwendung deutlich kritisieren. Darauf muss ich im zweiten Teil auf jeden Fall hinweisen.