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Growth- und Value-Strategie im Vergleich

Ein Anleger mit Value-Strategie versucht unterbewertete Aktien zu finden, ein Growth Investor sucht gezielt Kaufchancen bei Aktien mit Wachstumsphantasie, in neuen Technologiefeldern oder Industrien. Aber warum dieses Schwarz-Weiss Denken, wenn die Welt farbig ist?


In einem früheren Blog-Beitrag habe ich ja bereits den Contrarian- und Value-Strategieansatz miteinander verglichen und versucht, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede herauszuarbeiten. Heute möchte ich die Growth-Strategie hinzufügen und einen älteren, aber interessanten Artikel empfehlen.

 

Nochmals die Merkmale eines Value Investors rekapituliert:

  • ist wertorientiert, bestimmt den fairen Preis einer Aktie anhand von fundamentalen Kennzahlen (wobei es verschiedene Ansätze und Methoden gibt)
  • will eine Aktie günstig erwerben - mit einem Sicherheitsabschlag (Margin of Safety) - und verkauft diese Aktie bei Erreichen des fairen Wertes konsequent
  • führt Vergleiche mit Werten aus der Branche, dem Ausland bzw. mit alternativen Ideen durch
  • ist geduldig und setzt nicht auf eine schnelle Kurssteigerung, sondern auf die langfristige Wertsteigerung im Unternehmen und durch Dividenden
  • ist eher vorsichtig und langfristig ausgerichtet


Kommen wir nun zu den Merkmalen eines Growth Investors:

  • ist wachstumsorientiert und risikofreudig
  • steht neuen technologischen Entwicklungen aufgeschlossen gegenüber
  • grundsätzlich bereit für ein Unternehmen einen hohen Preis zu zahlen, wenn "die Story stimmt" bzw. die Zukunftsaussichten verlockend sind
  • verlangt keine Nachweise für Profitabilität (in Vergangenheit oder Gegenwart), sondern vor allem Wachstumspotential und die Chance auf hohe Gewinne in der Zukunft
  • setzt auf Kurssteigerungen und nicht auf Dividenden


Bedingt durch diese unterschiedliche Ausrichtung finden klassische Value- und Growth-Anleger meist ganz verschiedene Aktien spannend bzw. investitionswürdig. Der Growth-Anleger schaut sich vielleicht Biotech-, Internet- und sonstige Technologieaktien an. Er sucht bevorzugt nach neuen Trends oder vielversprechenden Technologien, nach deren Herstellern und nach interessanten Börsengängen. Er verwendet letztendlich kaum Zeit darauf, etablierte und große Unternehmen anzuschauen, denen er kaum signifikantes Wachstum zutraut.

 

Der Value-Anleger hingegen grenzt sein Anlageuniversum bewußt ein, indem er zunächst bestimmte Kennzahlen wie KBV, KGV und ähnliche als Kriterium einsetzt, um eine erste Auswahl zu treffen. Danach folgt in der Regel eine tiefergehende Analyse, wenn man von rein quantitativen Methoden absieht. Dieses Vorgehen führt manchmal dazu, dass er sich ausschließlich auf konservative Branchen, zum Beispiel Versorger, bestimmte Konsum- oder Telekomwerte konzentriert, da diese Branchen temporär oder generell eine niedrige Bewertung erfahren. 

 

Es ist aber offensichtlich, dass diese verschiedenen Blickwinkel und die damit einhergehende starke Spezialisierung auch gewichtige Nachteile hat. Zum Beispiel entgehen dem Growth-Investor Gelegenheiten, wenn sich vormals langweilige Branchen oder Unternehmen wandeln und in eine starke Wachstumsphase übergehen. Spezialisiert er sich zu sehr, zum Beispiel auf Biotech-Aktien, kann er durchaus sehr erfolgreich sein, andererseits ist die Diversifikation im Depot generell zu niedrig. 

 

Dem Value-Anleger sagt man hingegen nach, dass er in einer Hausse nie den Markt(-index) schlagen kann (die Aktien mit dem höchsten Beta haben typischerweise Wachstumsphantasie bzw. eine "Story") und dass er eigentlich nur gut dasteht, wenn der Markt seitwärts oder abwärts tendiert (weil er dann besonders stark von den Dividenden profitiert bzw. seine Aktien unter­durchschnittlich verlieren). Man erwartet geradezu, dass er keine Aktien im Depot hat, die eine langjährige und hohe Wertentwicklung haben (denn bei Erreichen des fairen Wertes hätte er ja verkauft). Diesen Vermutungen wurde mittlerweile von Seiten der Wissenschaft widersprochen. Es gibt zahlreiche Studien, die eine höhere Rendite für Value vs. Growth über verschieden lange Zeiträume in unterschiedlichen Märkten zeigen konnten. Ein Beispiel findet man auf der Webseite von IFA (Index Fund Advisers) und betrachtet den US-Markt über mehr als 80 Jahre: Value vs. Growth.

 

Außerdem haben sich mittlerweile Kombinationen beider Investmentstile herausgebildet, um die beschriebene Einseitigkeit bzw. Ausschließlichkeit zu eliminieren und das Beste aus beiden Welten zu nutzen. Um zwei Beispiele dafür zu nennen: Growth at reasonable price (GARP), also Wachstum zum angemessenen Preis, oder die Methode nach Susan Levermann, die neben der Bewertung von Eigenkapitalrendite, KGV und Ebit-Marge auch Kriterien wie Reaktion auf Quartalszahlen, Kursmomentum, Gewinnwachstum und positive Gewinnrevision enthält und anwendet. Wer hier weiterlesen will, dem sei das Buch zur Lektüre empfohlen: "Der entspannte Weg zum Reichtum" (Susan Levermann, dtv, 2011).

 

Nun möchte ich aber auf einen Artikel zu sprechen kommen, der eine interessante Wendung in die Diskussion bringt. Im Blog von Wexboy, erschien er bereits Ende April 2013 unter dem Titel "The Activist Investor".

 

Wexboy führt viele Argumente der Diskussion zwischen Value- und Growth-Anlegern an, die ich oben erwähnt habe. Er führt aus, dass ihm die Konzentration auf die Vergangenheit (Kennzahlen) der klassischen Value-Anleger genauso falsch erscheint, wie die Fokussierung auf die Zukunft (Wachstumsprognosen) der klassischen Growth-Anleger.

 

Stattdessen sucht er als "activist investor" nach Unternehmen, die eine Transformation durchlaufen und für deren Geschäft es Katalysatoren gibt, die Umbrüche erzwingen. Damit sei diese Strategie in der Gegenwart verankert, auch wenn die Transformation natürlich Zeit benötigt. Am Markt führt diese Situation oft dazu, dass solche Unternehmen mißverstanden werden und die Aktien fehlgepreist sind. Wenn die eigenständige Analyse dann Werte bzw. Chancen erkennt, die gegenwärtig andere Investoren nicht sehen, wäre das der ideale Investmentfall.

 

Einschränkend fügt er hinzu: vom Markt mißverstandene Unternehmen zu identifizieren ist kein Selbstläufer. Denn weder in den Finanzmedien, noch in Datenbanken, noch in den IR-Präsentationen des Managements würde man mit der Nase darauf gestoßen. Es heißt also: Kopf selbst anstrengen und den etablierten Blickwinkel verlassen. Daher sei der wichtigste Rat für jeden Investor derjenige: "Read, read, read and then read some more!"


(c) 2015 Covacoro

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