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Rezension: Die Kunst der Selbstausbeutung

"Seit Jahrhunderten träumen wir von selbstbestimmter Arbeit. Nun wird der Traum Wirklichkeit. Und entpuppt sich als Albtraum." Jakob Schrenk hat bereits 2007 sein Buch "Die Kunst der Selbstausbeutung" als Analyse der Arbeitswelt im 21. Jahrhundert vorgelegt.

 

Es hat nichts an Aktualität eingebüßt und unterscheidet sich wohltuend von der immer zahlreicher werdenden Ratgeberliteratur, denn es konzentriert sich auf die Bestandsaufnahme der Fakten und überläßt uns Lesern die kritische Auseinandersetzung damit.


Woran erkennt man ein gutes und lesenswertes Sachbuch? Ich denke vor allem daran, dass es ein Thema in einer gewissen Detailliertheit und Tiefe behandelt und den Leser zum eigenen Nachdenken und Reflektieren anregt. Jakob Schrenk ist das mit seinem Buch gelungen, obwohl das Thema durchaus dazu einladen würde, mit Ratschlägen und Aufforderungen a la "Ab morgen wird alles anders." zu hantieren. In seiner Einleitung macht er das auch klar, wenn er schreibt: "Um Missverständnisse zu vermeiden: Dieses Buch fordert nicht die Rückkehr zur alten industriellen Arbeitswelt ... Es ist gut, dass immer mehr Menschen Spass und Selbstbestimmung in ihrer Tätigkeit finden. Doch um den damit verbundenen Gefahren zu begegnen, müssen wir die Strukturen und Mechanismen der neuen Arbeitswelt verstehen, müssen zweimal hinsehen, den schönen Versprechungen misstrauen. Dabei will dieses Buch helfen."


Zunächst ein Überblick über die Kapitel und den Inhalt des Buches:


Kapitel 1 - Die totale Freiheit

Die Hierarchien werden flacher, die Eigenverantwortung größer. Neue Organisationsformen der Arbeit geben dem modernen Angestellten mehr Unabhängigkeit und zwingen ihn gleichzeitig, sich in einen Selbstunternehmer zu verwandeln

Kapitel 2 - Der Kontrolleur in unserem Kopf

Der Firmenpatriarch geht in Rente und auch der gute alte Gewerkschafter hat nicht mehr viel zu sagen. Der Beschäftigte muss sich seine Stelle selbst erwirtschaften. Das bedeutet: mehr Druck und mehr Stress.

Kapitel 3 - Die Jobflatrate

Arbeit von Nine-to-five, Montag bis Freitag und am Wochenende frei - mit dieser Zeiteinteilung der industriellen Moderne ist es jetzt vorbei. Dank Handy und WLAN sind wir immer erreichbar. Die Firma fordert uns 24 Stunden am Tag.

Kapitel 4 - Büro als Lebensraum

Die räumliche Trennung von Arbeit und Leben löst sich auf. Die Firma imitiert unsere Wohnung und umgekehrt. Beruf und Privatleben sind eins. In Zukunft werden wir immer und überall arbeiten können.

Kapitel 5 - Die Ausbeutung der Gefühle

Die neue Arbeitswelt fordert den ganzen Menschen. Geschickt werden Emotionen wie Stolz, Sehnsucht oder Zuneigung für die Produktionssteigerung eingesetzt. Es wird fast unmöglich, zwischen eigenen Interessen und denen des Arbeitgebers zu unterscheiden.

Kapitel 6 - Grenzenlos mobil

In der neuen Arbeitswelt muss der Selbstunternehmer seine Arbeitskraft global anbieten. Internationals verbringen mehr Zeit in der Flughafen-Lounge als daheim, deutsche Telefonisten arbeiten in indischen Callcentern und Elektriker haben einen 850 Kilometer langen Weg zum Job.

Kapitel 7 - Corporate Body

In der bildverrückten Gesellschaft wird die menschliche Schönheit immer wichtiger. Für den beruflichen Erfolg verzichtet der moderne Angestellte aufs Rauchen, geht ins Fitnessstudio und legt sich sogar unters Messer.

Kapitel 8 - Gedrillt für den Erfolg

Um ihre Kleinen auf die Anforderungen des Weltmarkts vorzubereiten, scheuen Eltern keine Mühen. 16-Jährige gehen zum Karriereberater, Vierjährige zum Chinesischunterricht, und Embryonen werden zur Intelligenzsteigerung im Mutterleib mit klassischer Musik beschallt.

Kapitel 9 - Leidende Angestellte

Stress, Druck und permanente Verfügbarkeit machen immer mehr Menschen krank. Burn-out und Arbeitssucht sind Statussymbole des modernen Angestellten. Mit Medikamenten wird der müde Körper aufgeputscht.

Kapitel 10 - Die Angst als Antrieb

Wir sind alle Arbeitslose auf Bewährung. Die BRD bleibt eine Angst-Gesellschaft. Und diese Furcht ist eine wertvolle Ressource für den Arbeitgeber, er nutzt sie zur Motivation.

Kapitel 11 - Azubis und Profis der Selbstausbeutung

Zeitarbeit, Projektarbeit, Generation Praktikum, Ich-AG, Beschäftigungsverhältnisse werden immer prekärer. Das bedeutet mehr Freiheit, aber auch mehr Risiko. Und je unsicherer unsere Jobs werden, desto mehr müssen wir arbeiten.

Kapitel 12 - Leben im Assessment-Center

Je unsicherer unsere Beschäftigungsverhältnisse werden, desto wichtiger sind Selbstpräsentation und das berufliche Netzwerk. Die neuen Möglichkeiten der Jobsuche lassen sich besonders gut im Internet beobachten, gelten aber auch fürs analoge Leben.

Kapitel 13 - Abschied vom Feierabend

Längere Arbeitszeiten und ständige Einsatzbereitschaft verkürzen und zerstückeln unsere Freizeit. Im Extremfall vermisst der moderne Angestellte sie gar nicht mehr.

Kapitel 14 - Der Angestellte als Künstler

Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" vermitteln neoliberale Business-Tugenden. Popstars präsentieren sich als Schwerstarbeiter. Und werden genau dadurch zum Rollenvorbild des modernen Beschäftigten.

Kapitel 15 - Was tun?

Der Kapitalismus hat eine neue Evolutionsstufe erreicht. Es gibt Möglichkeiten, die Risiken der neuen Arbeitsformen zu minimieren und ihre Chancen zu nutzen. Wir müssen um neue Grenzen zwischen Beruf und Privatleben kämpfen.


Ich glaube aus dieser Übersicht ist bereits ersichtlich, dass viele Facetten des Themas beleuchtet werden und das ganz sicher nicht alle Ausführungen auf jeden Beschäftigten zutreffen. Außerdem bringt der Autor konkrete Biographien und Beispiele in die Kapitel mit ein, die das Buch auflockern und anschaulicher machen. Er macht deutlich, dass die neue Arbeitswelt untrennbar mit der geänderten wirtschaftlichen Realität einhergeht (Stichworte: Globalisierung, Internet, Neoliberalismus) und sich nicht wieder zurück entwickeln wird. Da sich sozusagen die Codes, Regeln und Erwartungen in den Unternehmen, in den Privathaushalten und im Bewusstsein der Angestellten und Selbständigen selbst geändert haben, besteht die Gefahr die "Kunst der Selbstausbeutung" zu erlernen. Laut Autor zeichnet sie diese durch drei wesentliche "Tugenden" bzw. Glaubenssätze aus: 

  • Arbeit muss man sich verdienen
  • ob Angestellter oder Selbständiger: man muss ständig auf stand-by sein
  • es gibt Freiheit, die unfrei macht

Wichtiger als die konkreten Veränderungen von Arbeitsroutinen und Verhaltensweisen, die sich überall beobachten lassen, ist also der Effekt, dass sich unser Bild von der Arbeit selbst wandelt, von der Art und Weise, wir wir über unseren Beruf sprechen und denken, was wir von ihm erwarten und von uns selbst verlangen. Wenn der Beruf zum Zentrum des gesellschaftlichen Seins wird und alle Bereiche des Lebens, die nichts mit ökonomischer Wertschöpfung zu tun haben, vernachlässigt werden, ist man auf dem besten Weg, zum Künstler der Selbstausbeutung zu werden. Der Künstler als Metapher trifft dabei in mehreren Aspekten zu: Künstler müssen kreativ sein und kennen keinen Feierabend. Sie haben meist kein geregeltes Einkommen sondern werden "projektbezogen" entlohnt und sie arbeiten selbstverantwortlich und allein. Die Parallelen zum modernen Angestellten und Selbständigen sind offensichtlich. Jakob Schenk schreibt dazu (Zitat) "Die moderne Arbeit ist damit ein paradoxes Phänomen: sie macht Spass, schafft Befriedigung und schenkt Freiheiten - gleichzeitig bringt sie aber auch neue Zwänge mit sich. Beinahe jeder der Protagonisten dieses Buches hat zwar zunächst seine individuellen Wirksamkeitsmythen thematisiert, aber eben auch über den Zwangscharakter des Jobs geklagt ... Eigentlich war eines der Wörter, das in den Interviews am häufigsten fiel."

Die Inflation des Wortes eigentlich deutet er als Symptom eines inneren Konflikts, nämlich dass es den Menschen zunehmend schwerer fällt, die beruflichen Anforderungen mit persönlichen Bedürfnissen zu vereinen bzw. klare Grenzen zu ziehen. Und ein Protagonist bringt es mit dem Satz auf den Punkt: "Es gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen, die im Krankenhaus, kurz vor dem Sterben, noch einmal rufen >> Hätte ich doch bloß mehr Zeit im Büro verbracht! <<".


Daher ist die wichtigste Empfehlung des Buches: man muß für sich selbst klare Regeln zum Umgang mit der neuen Arbeitswelt aufstellen.

Und die wichtigste Aufforderung, die ich dem Buch entnommen habe und meinen Lesern gern mit auf dem Weg gebe, lautet:
sein Leben sinnvoll zu gestalten, heißt nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch Freizeit, Privatsphäre, Freundschaft und Familie. 

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