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Rezension: Mehr Geld als Gott

Über 600 Seiten bringt Sebastian Mallabys Bestseller Mehr Geld als Gott* auf die Waage. Er beschäftigt sich mit der Geschichte der Hedgefonds seit Mitte des 20.Jahrhunderts.

 

Sebastian Mallaby hat dazu mehr als 300 Stunden Interviews geführt und bekam Zugang zu internen Dokumenten. Er wollte verstehen, warum einige Hedgefonds spektakuläre Renditen erzielen konnten und andere spektakulär scheiterten.

 

In der öffentlichen Diskussion werden Hedgefonds oft auf zwei Punkte reduziert: Entweder sind sie die Vehikel, die mittels antizyklischem Handeln und finanzieller Firepower eingreifen, um irrationalen Überschwang oder falsche Politik bloßzustellen und zu korrigieren.

 

Oder man sieht sie als aggressive Investoren, die rücksichtslos Unternehmen und ganze Länder destabilisieren und zu Fall bringen können. Der Schaden, den sie anrichten können und die gigantischen Summen, die ihre Initiatoren und Investoren dabei verdienen, sind Grund genug, sie zu verurteilen. Und nach Gesetzen und Regulierung zu rufen.

 

Seit der Finanzkrise 2008/9 wissen wir, dass grosse Banken und Versicherungen mindestens genauso gefährliche Institutionen sind. Trotz Gesetzen, Kontrolle und Regulierung. Es ist daher anzunehmen, dass mehr Gesetze und Regulierung bei Hedgefonds ebenfalls ins Leere laufen würden.

 

Sebastian Mallaby schaut in seinem Buch über den einzelnen Hedgefonds und seine Geschichte hinaus und fragt: Warum sind Hedgefonds für uns relevant und sind sie vielleicht Teil der Lösung? Das "uns" interpretiert er dabei sehr weit: für private und institutionelle Anleger, für Wissenschaft und Wirtschaft, für Politik und Gesellschaft.

 

Die Antwort ist nach Lesen dieses Wälzers für mich am Ende sehr einfach ausgefallen:

Weil Hedgefonds die Grenzen ausloten und verdeutlichen, was auf falschen Annahmen beruht, halten sie dem Finanzsystem und unserem Verständnis darüber den Spiegel vor.

Gäbe es sie nicht, müßte man sie erfinden.

 

 


Der Inhalt im Überblick

 

Sebastian Mallaby erzählt die Geschichte der Hedgefonds chronologisch von den 1950er Jahren bis Ende 2010. Das hat den Vorteil, dass er die Strategien der Fonds zum jeweiligen Stand der akademischen Forschung zu Börse und Finanzmärkten in Beziehung setzen kann.

 

Der erste Hedgefonds-Manager, Alfred Winslow Jones, hatte nicht Wirtschaftswissenschaft studiert, nicht über quantitative Finanzmodelle promoviert und er wurde auch nicht in einem Finanzunternehmen ausgebildet. Stattdessen war er Quereinsteiger und Improvisateur einer Investment-Struktur, die das Hedgen von Risiken betonte und bis heute überdauert hat.

 

Wenige Jahrzehnte später traten Manager in seine Fußstapfen, die tatsächlich die Theorien zu Finanzmärkten studiert hatten, über Finanzmodelle promovierten und bei Goldman Sachs oder anderen Institutionen ausgebildet wurden. Sie gründeten Hedgefonds Ende des 20.Jahr-hunderts und waren im Gegensatz zu Jones auch Meister der Selbstdarstellung. 

 

Die Entwicklung der Hedgefonds-Branche verlief keineswegs stetig und linear, weder was die Anzahl der Fonds noch das Volumen der Anlegergelder betraf. Es gab sowohl Booms als auch Krisen, wo viele Fonds wieder vom Markt verschwanden. Zu den größten Anlegern in Hedgefonds zählen übrigens Stiftungen, darunter solche bekannte Namen wie die Stiftungen der Universitäten Yale und Stanford.

 

Die Anreize einen Hedgefonds aufzulegen und zu managen sind unverändert: Einerseits war da die Suche nach Alpha, der Überrendite über den breiten Markt. Initiatoren und Manager der Hedgefonds sind mit eigenem Geld investiert und profitieren von ihren Erfolgen direkt.

 

Haben sie zweistellige Jahresrenditen über mehrere Jahre erzielt, fließen oft neue Anlegergelder zu. Die Fondskonstruktion mit einer Gewinnbeteiligung in Form einer Performance Fee (typisch 20 Prozent p.a.) bewirkt dann, dass die Initiatoren unglaubliche Summen verdienen. Mehr als jeder CEO eines Unternehmens oder einer Investmentbank.

 

Die Geschichte der Hedgefonds ist eng verbunden mit Innovationen, sei es bei Research oder Analyse, bei Exekution und Verschleierung der Geschäfte. Auch werden Ideen auf immer neue Märkte und Assetklassen übertragen und angewandt. Ebenso ist ein roter Faden der steigende Einsatz von Fremdkapital und immer raffiniertere Strategien, um die damit verbundenen Risiken zu managen. Nicht immer mit Erfolg.

 

Egal welche Strategie oder Markt im Fokus stand, egal ob es um marktneutrale Arbitrage-Geschäfte oder asymmetrische Chance-Risiko-Gelegenheiten ging, das Handeln der Hedgefonds blieb irgendwann nicht unentdeckt. Mancher wurde dann Opfer von Mitläufern und Nachahmern, von austrocknender Liquidität oder Gegenattacken.

 

Bis auf wenige Ausnahmen, auf die im Buch eingegangen wird, haben Hedgefonds die Risiken ihrer Positionen selbst geschultert und mußten für Verluste einstehen, wenn das Geschäft gegen sie lief. Das war auch in der Finanzkriste 2008/9 so.

 

Eine Pleite ist in der Branche genauso üblich wie die Liquidation eines Fonds, wenn seine Strategie nach einigen Jahren nicht mehr funktioniert. Hedgefonds sind auch nicht "too big to fail", wie große Banken, sondern haben "skin in the game" und können sich eine romantische Marktsicht nicht leisten.

 

Sie zeigen nun schon über Jahrzehnte, dass Märkte nicht so effizient sind, wie manche Theorie behauptet. Daraus entstehen starke ökonomische Anreize für Hedgefonds mit Kapital, Ressourcen und Risikobereitschaft, dieses Wissen auszunutzen und in Gewinne umzumünzen. Das hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun oder mit Insiderwissen.

 

 


Fazit

 

Was macht die Faszination des Buches aus?

 

Einerseits seine Vielschichtigkeit und manche interessante, filmreife Nebengeschichte, die aus den Interviews und Unterlagen durch den Autor rekonstruiert wurde. Das Hedgefonds-Manager "mehr Geld als Gott" haben, ist dabei die unwichtigste Feststellung.

 

Wichtiger ist, dass der Leser ein Verständnis entwickeln kann, warum Märkte für bestimmte Teilnehmer, Assets und Zeiträume, inhärent ineffizient sind. Das hat viel mit Behavioral Finance zu tun, aber auch mit ökonomischen Zwängen und Regularien der Finanzindustrie.

 

Andererseits fasziniert mich, wie stark sich die Strategien über die Zeit weiterentwickelt haben und dass es immer mehr Akademiker in diese Branche zog. Ob es um die modernen quantitativen Strategien dieser Tage geht oder um effiziente Analyse und Interpretation von Informationen: die Branche ist erwachsen geworden und trotzdem hoch dynamisch.

 

Eine wichtige Erkenntnis war weiterhin, wie ernst die Hedgefonds Portfolio- und Risiko-Management nehmen, also dass das "Hedge" im Namen nach wie vor berechtigt ist. Und vielleicht ebenfalls der Punkt, dass gerade profitable Strategien den Grundstein legen können für Leichtsinnigkeit und zukünftige Fehler.

 

Wo liegen die Schwächen des Buches?

 

Dort wo seine Stärken sind, muss es auch Abstriche machen. Es ist als Überblick konzipiert und begreift Hedgefonds als nötiges Korrektiv der Märkte.

 

Daher wird mancher Leser vielleicht Details zur Strategie und zu Positionen eines Fonds vermissen - trotz ca. 30 Seiten pro Kapitel. Da hilft dann nur eigene Recherche, von der man aber keine Wunder erwarten sollte: Hedgefonds wissen ihr kritisches Knowhow zu schützen.

 

Da der Autor Hedgefonds positiv sieht, überwiegen die positiven Fallbeispiele für ihr Wirken. Es ist nicht so, dass Kritisches nicht angesprochen wird, aber vielleicht wird es nicht ganz ausdiskutiert. Zum Beispiel die Ereignisse rund um die Krise der asiatischen Schwellenländer-Währungen, wo man weitere Perspektiven hätte diskutieren können.

 

Aber beide Punkte ergeben sich aus dem Konzept des Buches und bei 600 Seiten muss man ja auch mal ein Ende finden. Das Buch ist eine Bereicherung für jeden Leser. Denn Sebastian Mallaby erzählt die Geschichte der Hedgefonds flott, sachlich und kenntnisreich.

 

Da wir Menschen Geschichten lieben, benötigt man keine Vorkenntnisse zur Materie. Man kann einzelne Kapitel lesen oder überspringen und hat am Ende seinen Horizont ganz automatisch um viele Facetten erweitert. Und so sollte es bei einem guten Sachbuch ja sein.

 

 

(c) 2019 Covacoro

 



Der Inhalt im Detail

 

Hier eine Aufstellung der einzelnen Kapitel, sowie eine Auswahl der erwähnten Hedgefonds und Manager, sowie einige Innovationen.

  • Einführung: Das Alpha-Spiel
  • Kapitel 1: Big Daddy
    • Alfred Winslow Jones, Hedging mit Short-Positionen
  • Kapitel 2: Der Block-Trader
    • Michael Steinhardt, Leerverkäufe, Antizyklik - Geldpolitik & Zinsen,
      Gewinne aus dem Bereitstellen von Liquidität
  • Kapitel 3: Paul Samuelsons Geheimnis
    • Paul Samuelson, Commodities Corporation, Ökonometrische Modelle, Risikomanagement, Trendfolgesysteme, Charttechnik, Fundamentalanalyse
  • Kapitel 4: Der Alchimist
    • George Soros, Quantum Fonds, Reflexivität, Makro-Trades auf Währungen
  • Kapitel 5: Top Cat
    • Julian Hart Robertson, Tiger Management
  • Kapitel 6: Rock&Roll-Cowboy
    • Paul Tudoy Jones II, Tudor Investment Corporation, Trendwechsel
  • Kapitel 7: Der weiße Mittwoch
    • Stan Druckenmiller, Quantum Fonds, Wette gegen das britische Pfund
  • Kapitel 8: Der Orkan Greenspan
    • Michael Steinhardt, Fed-Geldpolitik, Staatsanleihen, Ende der Hedgefondsparty
  • Kapitel 9: Soros gegen Soros
    • Tigers Paladium-Spekulation, Soros und die Währungskrise in Südostasien
  • Kapitel 10: Der Feind sind wir
    • John Meriwether, Long-Term Capital Management
  • Kapitel 11: Das Dotcom-Double
    • Tigers Debakel mit dem Yen, Tech-Aktien Boom
  • Kapitel 12: Die Männer aus Yale
    • David Swensen, Yale, alternative Investments, Farallon Hedgefonds
  • Kapitel 13: Die Codebrecher
    • James Simons, Renaissance Technologies, Kursmuster und -prognosen zur Informationsverarbeitung, Shaw Investment, Arbitrage Optionspreismodell
  • Kapitel 14: Vorahnungen einer Krise
    • Amaranth, Citadel
  • Kapitel 15: Mit dem Sturm reiten
    • Paulson, AQR, Citadel, Bear Sterns
  • Kapitel 16: Wie konnten sie das tun?
    • Kynikos Associates, Jim Chanos, Children's Inv. Fonds, Chris Hohn
    • Lehman Brothers / Tudor Investment, Morgan Stanley / Citadel
  • Fazit: Schrecklicher als was?
  • Danksagungen
  • Anhang 1: Haben die Tiger Fonds Alpha generiert?
  • Anhang 2: Die Performance der Pioniere
  • Anmerkungen, Stichwortverzeichnis, Über den Autor

 


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